In dieser Artikelreihe wollen wir uns näher mit dem Design der 5ten Edition von Dungeons and Dragons auseinandersetzen. Sie richtet sich vor allem an Dungeon Master, die durch ein besseres Verständnis der Designentscheidungen von D&D ihr Spiel verbessern können. Sie ist aber natürlich auch für Spieler interessant, die mehr über das Spiel lernen wollen.
Im heutigen Artikel soll es um die Welten des Spiels gehen und vor allem um ihren Aufbau und was wir daraus für unser Spiel lernen können, entweder indem wir uns entscheiden, sie in einer der vorgefertigten Settings spielen zu lassen oder für den Bau unserer Homebrew-Welten. Dabei konzentriere ich mich auf vier Welten, die in der 5ten Edition veröffentlicht wurden, mit denen ich mich bereits etwas auskenne: Die Vergessenen Reiche, Eberron, Ravenloft und die Domänen der Furcht (Domains of Dread), sowie Theros.
Leckerer Kuchen oder Maoam-Mix?
Es gibt Welten, die haben viel Geschichte, auf die sie aufbauen können. Die Vergessenen Reiche sind so eine Welt. Die Aufzeichnungen zur Geschichte beginnen in den Tagen des Donners, die vor ca. 36 000 Jahren stattfanden. Ingesamt gibt es 7 oder 8 Zeitalter, je nachdem wie man sie zählt, die ihre Spuren auf der Welt hinterlassen haben und auf die man aufbauen kann, wenn man eine Geschichte in den vergessenen Reichen erzählen will. Eberron ist ähnlich. Eberron hat 5 Zeitalter, die je nach Quelle sogar Millionen Jahre in die Vergangenheit reichen.
Man kann sich die Vergessenen Reiche wie einen Kuchen vorstellen, der aus verschiedenen Schichten besteht. Jede Schicht ist ein eigenes Zeitalter und hat einen anderen Geschmack.
Es gibt Welten, die sehr breit sind. Sie haben nicht viel Geschichte, sind aber trotzdem vielfältig. Ravenloft hat unzählige Domänen der Furcht, die alle relativ jung sind, beziehungsweise die Geschichten, die darin geschehen, immer die gleichen sind. Strahd von Zarovich muss immer wieder mit ansehen, wie seine geliebte Tatyana wiedergeboren wird und jedes Mal schafft es nicht, ihr Herz zu gewinnen. Barovia ändert sich nicht, egal wie viel Zeit vergeht. Abenteuer in Barovia sind immer ähnlich, immer zu dem gleichen Thema. Genauso wie die Abenteuer in Darkon, Bluetspur oder einem der anderen unzähligen Domänen. Die Domänen der Furcht in Ravenloft haben keine tiefe Geschichte, weil sie sich selbst nicht ändern, aber es gibt so viele unterschiedliche Domänen, dass für jeden etwas dabei ist.
Ravenloft ist wie eine Tüte Maoam-Mix. Es gibt unterschiedliche Geschmäcker, aber am Ende ist sich alles irgendwie ähnlich:
Und dann gibt es Theros, das keine große historische Tiefe wie die vergessenen Reiche oder Eberron, aber auch keine Breite wie die Domänen der Furcht in Ravenloft haben. Es gibt in Theros zwei Zeitalter, “the Age of Trax” und “the Age of Heroes”. Laut dem Buch Mythic Odysseys of Theros ist das “Age of Trax” gerade mal ein paar Jahrhunderte vor der Geschichtsaufzeichnung der Menschen. Wir haben hier also gerade mal 1000 Jahre Geschichte, über die auch nicht viel bekannt ist. Theros ist damit perfekt, um genau eine Art von Abenteuer zu machen: Pseudo-Griechische Antik-Abenteuer. Das liegt vermutlich daran, dass Theoris ursprünglich ein Magic-Set war. Und diese sind sehr monothematisch. Ich habe Ravnica nicht gelesen, aber Strixhaven sieht zumindest genauso aus, dass es genau für eine Art von Abenteuer gut ist: Magische Internatsschul-Abenteuer. Es besteht nicht die Möglichkeit für viele verschiedene Arten von Abenteuern, dafür ist aber das Thema, die Art von Abenteuer, die sie bieten sehr gut ausgearbeitet. Die Geschichte von Theros wird auf 2 Seiten abgehandelt. Etwas, was für die Vergessenen Reiche oder Eberron so gut wie unmöglich wäre.
Theros ist eine Tafel Schokolade. Egal wie oft man reinbeißt, der Geschmack bleibt immer gleich. Es ändert sich nichts.
Die Vergessenen Reiche und Eberron haben aber auch eine große Breite. Gerade die Vergessenen Reiche sind ungefähr so groß wie die Erde. Es gibt unzählige unterschiedliche Länder mit ihrer jeweils eigenen Geschichte. Hier kann man sich mal anschauen, was es allein alles auf dem Kontinent Faerûn gibt.
Das heißt, die Vergessenen Reiche und Eberron sind tatsächlich nicht nur ein Kuchen mit mehreren Schichten, wie am Anfang genannt, sondern gleich ein ganzes Kuchenbuffet. Die Schwertküste ist dann ein einzelner Kuchen im Buffett der Vergessenen Reiche, Icewind Dale ein anderer Kuchen, Avernus ein anderer Kuchen usw.usf.
Ich glaub, ich muss jetzt erstmal Kuchen essen gehen …
Aber was sagt uns das jetzt?
So, nachdem ich jetzt den Hunger gestillt habe, was bringt uns dieses ganze kulinarische Wissen für unser Spiel?
Als DM ist das relativ simpel:
Wenn ich eine Spielwelt mit großer Tiefe und Breite nehme, wie die Vergessenen Reiche oder Eberon, dann habe ich viele Möglichkeiten und viele Themen, die ich in eine potenzielle Kampagne einbauen kann. Ich kann mir Dinge aus zehntausenden an Jahren von Geschichte heraussuchen und sie verwenden. Ein alter, vergessener Tempel aus der Zeit des First Flowering muss erkundet werden? Oder wollen wir die vergessene Macht der Sarrukh wiederfinden, die in der Lage waren, neue Rassen zu erschaffen? Oder wollen wir uns einfach um einen Grenzkonflikt kümmern, der auf irgendeine Kleinigkeit von vor 100 Jahren zurückführt? In so einer Kampagnenwelt ist so gut wie alles möglich, was auch die vielfältigen Abenteuer zeigt, die von WotC herausgebracht werden. In die Hölle reisen? Einen Schatz in einer Stadt stehlen? In die Feywild gehen? Gegen Drachentyrannen kämpfen?
Das ist alles in den Vergessenen Reichen möglich.
Aber warum sollte man dann andere Welten bespielen, wenn in den Vergessenen Reichen alles möglich ist?
Weil es überwältigend für den Spielleiter sein kann. Die vergessenen Reiche sind so groß, mit so großer Geschichte, dass es für mich als DM sehr viel Arbeit ist, mich in diese einzuarbeiten. Oder wenn man als DM eine eigene Welt erschaffen will, in der ähnlich viel möglich ist, dann steht man vor einer gewaltigen Herausforderung und hat sehr viel Arbeit vor sich, wenn man sich die Vergessenen Reiche als Vorbild nimmt. Es ist wesentlich schwerer und aufwendiger, ein ganzes Kuchenbuffet zu backen, mit dutzenden verschiedenen Geschmacksrichtungen, als einen einzelnen Kuchen oder ein paar Cupcakes.
Deshalb muss man sich als DM fragen, was man eigentlich für ein Spiel machen will.
Will man nur einzelne One-Shots leiten, der keine Verbindung zu anderen Kampagnen hat oder mehrere One-Shots, die nichts miteinander verbindet? Dann kann man für jeden One-Shot eine kleine Welt wie Theros aufbauen, die nicht viel Tiefe hat, aber thematisch genau auf den One-Shot, den man leiten will, zugeschnitten ist.
Will man eine Kampagne leiten, deren einzelne Abenteuer nicht oder nur sehr lose zusammenhängen, z.B. weil die Abenteuergruppe in einer Abenteuergilde ist und dort immer wieder neue, unterschiedliche Abenteuer bekommt, die nur wenig miteinander zu tun haben? Dann könnte man das Ravenloft-Modell verwenden. Für jedes Abenteuer erschafft man ein neues thematisch passendes Setting, das nur sehr lose mit den anderen verbunden ist (und zwar in der Hinsicht, dass es möglich ist, dahin zu reisen).
Will man eine lange, zusammenhängende Kampagne epischen Ausmaßes spielen, die in einer lebendigen Welt stattfindet oder ein Sandbox-Game, das in einer lebendigen Welt stattfindet (oder will man einfach nur aus Spaß so eine lebendige Welt erschaffen)? Dann könnte man das Modell der Vergessenen Reiche oder Eberrons verwenden. Man erschafft eine Welt voller Geschichte, mit mehreren Kontinenten, mit mehreren globalen und lokalen Katastrophen, die jedes Mal das Gesicht der Welt verändert haben …
Jede dieser Spielarten und Welten hat etwas für sich. One-Shots oder Einzel-Abenteuer ohne große Verbindungen sind einfacher zu erschaffen, als eine lebendige Welt, in der viel passiert. Aber One-Shots und Einzel-Abenteuer mit flachen Settings entfalten keine so große Bindungskraft für die Spieler. Die Welt ist nicht so lebendig und die Spieler scheren sich ein kleines bisschen weniger um die Welt und die NPCs in dieser.
Als DM kommt man da auch in eine Bredouille: Wenn man sehr viel Zeit und Energie in die Erschaffung einer komplexen Welt investiert hat, will man sie auch verwenden. Wenn die Spieler aber irgendwann mal entscheiden, dass sie etwas anderes machen wollen, das jetzt gar nicht in die Welt passt, dann war die ganze Arbeit umsonst, oder? Das ist auch glaube ich einer der Gründe, warum Wizards of the Coast sich so sehr auf die Vergessenen Reiche konzentriert.
Es gibt zwar 7 Setting-Bücher, von denen sich nur zwei auf die Vergessenen Reiche konzentrieren bzw. dort angesiedelt sind (Sword Coast Adventuerer’s Guide und Acquisitions Incorporated), aber alle bisher erschienenen Abenteuer (abgesehen von der Stranger Things und der Rick & Morty-Box) spielen in den vergessenen Reichen. 16 von 18 offiziell veröffentlichten Abenteuern spielt in den vergessenen Reichen. Ich glaube Strixhaven wird das erste Mal sein, dass es ein offizielles 5e Abenteuer-Buch von WotC geben wird, dass nicht in den Vergessenen Reichen angesiedelt ist, weil die Vergessenen Reiche das große Kuchenbuffet sind, das WotC herstellt und befüllt.
Und wie stellen wir jetzt unsere eigenen Vergessenen Reiche her, wenn wir ein eigenes Setting erstellen wollen? Dazu erkläre ich meine Methode dann in meinem nächsten Blog-Artikel.
Ich hoffe, euch hat der Artikel gefallen. Damit ihr keinen Artikel von mir verpasst, könnt ihr mir auf Facebook, Instagram oder Twitter folgen, oder den RSS-Feed dieses Blogs abonnieren.
A. B. Funing