Marik und Bori duckten sich tief ins Unterholz, während Ray sich lautlos in den Wipfeln des Baumes versteckte. Die Goblinpatrouille näherte sich nichtsahened dem schmalen Pfad durch den Wald, nichtsahnend.
Ein stummes Zeichen von Ray genügte, und Marik ließ seinen Pfeil mit tödlicher Präzision fliegen, gefolgt von Boris blitzschnell abgefeuertem Bolzen. In dem Moment, in dem die Projektile auf die Goblins niederprasselten, entfachte Ray einen Feuerball, der durch die Luft sauste und alles in seiner Umgebung erhellte.
Die Goblins schrien entsetzt auf, als der Angriff wie ein Schlag aus heiterem Himmel über sie hereinbrach. Verwirrt und desorientiert versuchten sie, sich gegen die unsichtbare Bedrohung zu verteidigen, doch es war bereits zu spät. Der Wald bebte unter ihren Schreien, während der Hinterhalt sein blutiges Werk vollendete.
Überraschung ist zweifellos ein Thema, das in der Dungeons & Dragons 5. Edition oft zu hitzigen Diskussionen zwischen Spielleitern und Spielern führt. Spieler verlangen häufiger, dass eine Kreatur, die sie attackieren möchten, überrascht ist, als der Dungeon Master es zulässt.
Diese Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Spieler und der Interpretation des Spielleiters lässt sich auf zwei Hauptgründe zurückführen:
- Die Regeln bezüglich Überraschung lassen Raum für Interpretation.
- Die Spielleitung geht möglicherweise zu früh in die Initiativephase über.
Die Regeln für Überraschung sind eigentlich sehr übersichtlich:
Überraschung
Ein Gruppe von Abenteurern schleicht sich an ein Banditenlager an und springt zwischen den Bäumen hervor, um die Banditen anzugreifen. Ein Gallertwürfel gleitet einen Gewölbegang entlang − so lange von den Abenteurern unbemerkt, bis er einen von ihnen umschlingt. In diesen Kampfsituationen greift eine der Parteien die andere unerwartet an und hat somit das Überraschungsmoment auf ihrer Seite.
Der SL legt fest, wer überrascht sein könnte. Wenn sich keine der Seiten um Heimlichkeit bemüht, bemerken sich beide automatisch gegenseitig. Anderenfalls vergleicht der SL die Geschicklichkeits-würfe (Heimlichkeit) von allen, die sich verstecken, mit der passiven Weisheit (Wahrnehmung) jeder Kreatur der Gegenseite. Charaktere oder Monster, die die Bedrohung nicht bemerken, gelten zu Beginn des Kampfes als überrascht.
Wenn du überrascht bist, kannst du dich im ersten Zug des Kampfes nicht bewegen oder angreifen, und du kannst bis zum Ende dieses Zuges keine Reaktion ausführen. Ein Mitglied einer Gruppe kann überrascht sein, auch wenn es der Rest seiner Gefährten nicht ist.
Dieses Werk enthält Material aus dem Systemreferenzdokument 5.1 („SRD 5.1”) von Wizards of the Coast LLC, das unter https://dnd.wizards.com/de/resources/systems-reference-document verfügbar ist. Das SRD 5.1 ist lizenziert gemäß der Lizenz Creative Commons Namensnennung 4.0 International, die unter https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/legalcode.de verfügbar ist.
Ich habe den relevanten Teil mal Fett markiert. Am häufigsten diskutiert wird wohl über die Auslegung von „greift eine der Parteien die andere unerwartet an“. Im zweiten Absatz wird das allein auf Heimlichkeit bezogen, also auf das Anschleichen. Kreaturen bemerken nicht, dass sich andere Kreaturen in ihrer Nähe befinden und sind deshalb überrascht, wenn diese plötzlich angreifen. Das ist die Enge Interpretation von Überraschung, bei der sich glaube ich alle einige sind. Wenn eine Kreatur sich erfolgreich an eine andere anschleicht, kann sich mit Überraschung angreifen. Problematisch wird es aber, wenn Spielsituationen entstehen, bei denen beide Kreaturen oder beide Gruppen von Kreaturen sich sehen können, wie z.B., wenn sich die Abenteuergruppe der Goblinpatrouille gegenübersteht und diese erstmal miteinander reden und dann eine einzelne Kreatur oder Gruppe entscheidet, in den Angriff überzugehen. Kann es dann zu Überraschung kommen? Wenn ein Spieler will, dass sein Spielercharakter in so einer Situation angreift, dann will dieser Spieler häufig, dass er das Überraschungsmoment auf seiner Seit hat.
Die Regeln sagen zu so einem Fall aber nichts. Es gibt einen Sage Advice dazu von Jeremy Crawford (https://www.sageadvice.eu/there-is-no-surprise-round-in-dd/), dass dann Initiative gewürfelt wird, wenn ein Spieler den Kampf anfangen wird und der Spieler dann in seinem Zug entscheiden kann, ob er tatsächlich die Aktion macht.
Das bringt aber einige Probleme mit sich.
Nehmen wir an, Marik, Bori und Ray stehen der Goblinpatroullie gegenüber und beide Gruppen reden miteinander. Nun entscheidet sich Ray, einen Feuerball zu werfen, nach Crawfords Vorschlag würde das dann so aussehen:
DM: Der Goblin zischt: Wir können euch nicht gehen lassen, diese ist Stammesland und ihr seid unerlaubt hier!
Rina: Ray hat genug davon, er zaubert Feuerball!
DM: Okay, es würfeln alle Initiative.
Mike: Marik hat eine 20!
Bertha: Bori hat eine 19!
Rina: Ray hat nur eine 5.
DM: Die Goblins haben eine 10. Okay Mike, Marik ist dran …
Theoretisch müsste man jetzt einmal durch die ganze Initiative gehen, bevor Ray seinen Feuerball werfen kann. Da Ray den Feuerball aber noch nicht geworfen hat, gibt es für alle anderen, die vor ihn in der Initiative stehen, keinen Grund, überhaupt zu kämpfen, weil die aggressive Handlung, die den Kampf auslöst, noch gar nicht begonnen hat.
Man könnte jetzt sagen, dass alle überrascht von Rays Handlung sind und deshalb kann man direkt zu Ray in der Initiativ-Reihenfolge springen und das wäre absolut okay, das so zu handhaben. Aber wenn man sich jetzt vorstellt, dass das ein NPC so gegen die Spielergruppe machen würde, würden diese aufschreien. Es ist keine elegante Lösung, vor allem auch, weil man so Überraschung „kostenlos“ erhält. Niemand muss einen Wurf machen? Man erhält einfach so eine freie Runde im Kampf?
Wie könnte man das besser lösen?
Die Ausgangslage ist, dass man sich in einer angespannten Situation befindet, in der sich alle Kreaturen bewusst sind, dass es die anderen gibt und dass es potentiell zu Gewalt kommen kann. Alle warten nur darauf, dass der andere den falschen Schritt macht, um die Gewalt zu entfesseln.
Vielleicht haben die Goblins schon Bögen gespannt, Marik und Bori halten ihre Waffen auch bereit …
Meine Lösung in dem Fall wäre: Der Auslöser des Kampfes ist der Beginn der feindseligen Aktion. Also das Beginnen des Zauberwirkens löst die Initiative aus, das Anlegen des Pfeils in den Bogen und Zielen auf den Feind ist der Beginn.
Ray kann versuchen, den Zauber heimlich zu wirken (Geschicklichkeit (Fingerfertigkeit) vs. Passive Wahrnehmung der Goblins). Wenn ihm das gelingt, sind alle anderen überrascht und er darf seinen Feuerball werfen, bevor die Initiative einsetzt. Aber jede Kreatur, die in dieser angespannten potentiell gewalttägigen Situation mitbekommt, das Ray beginnt, einen Zauber zu wirken, ist nicht überrascht und hätte dann genauso normal Initiative zusammen mit Ray.
Was ich aber Ray gewähre, ist Vorteil auf seinen Initiative-Wurf. Warum? Weil er der Auslöser ist. Er beginnt, den Zauber zu wirken und alle anderen können nur darauf reagieren. Agieren hat in diesem Fall einen Vorteil gegenüber denen, die nur reagieren.
Das würde ich auch so machen, wenn Ray das gar nicht heimlich machen will. Ray zaubert Feuerball ganz offen, um den Kampf zu beginnen? Okay, er hat Vorteil auf seinen Initiativwurf, beginnt den Kampf damit, dass er anfängt ihn zu zaubern und schleudert dann den Feuerball, wenn er am Zug ist.
Wenn man das in Regelungen ummünzt:
Wenn Kreaturen sich gegenseitig wahrnehmen können,
- Führt der Beginn einer feindseligen Handlung (z.B. die Ankündigung, einen Angriff oder Zauber durchzuführen) zum Auswürfeln der Initiative.
- Kreaturen können versuchen, Zauber oder Angriffe, die einen Kampf auslösen würden, heimlich zu machen, damit andere Kampfteilnehmer überrascht sind.
- Kreaturen haben Vorteil auf Initiative-Würfe, wenn sie den Angriff oder Zauber durchführen, der den Kampf eröffnet. Kreaturen haben auch Vorteil auf Initiative-Würfe, wenn sie Angriffe bereitgehalten haben, z.B. in dem sie mit ihren geladenen Armbrüsten auf eine andere Kreatur zielen und darauf warten, dass diese eine feindselige Handlung durchführt.
Den letzten Part habe ich noch ergänzt, weil in meinen Runden es häufiger vorkommt, dass Spielercharaktere Angriffe bereitgehalten haben und dann enttäuscht waren, dass diese in der normalen Initiative-Reihenfolge aufgelöst wurden.
Diese Regeln funktionieren auch in Situationen, in denen keine Spannung in der Luft liegt und zunächst keine feindlichen Handlungen zu erwarten sind, z.B. wenn sich auf einem Marktplatz Assassinen als Händler verkleiden, die Gruppe zunächst in ein Gespräch verwickeln und dann plötzlich angreifen, nachdem sie die Gruppe in einen Laden oder eine Gasse geführt haben. Wenn die Spielercharaktere nicht misstrauisch geworden sind (z.B. durch erfolgreiche Weisheit (Motiv erkennen)-Würfe), würde ich ihnen sogar einen Nachteil bei den Wahrnehmungswürfen gegen das heimliche Ziehen der Dolche der Assassinen geben. Natürlich funktioniert das auch umgekehrt, wenn die Gruppe versucht, eine Kreatur mit sozialen Interaktionen einzulullen und in Sicherheit zu wiegen, bevor sie angreift.
Zu frühe Initiative-Würfe
Ein zusätzliches Problem im Zusammenhang mit Überraschung und allen Klassenmerkmalen, die damit verbunden sind (z. B. Assassinen), besteht darin, dass die Initiative zu früh gewürfelt wird, um die Reihenfolge im Kampf festzulegen. Idealerweise sollte die Initiative so spät wie möglich gewürfelt werden, um den Spielern stets die Möglichkeit zu geben, den Kampf auf alternative Weise zu lösen. Wenn die Initiative gewürfelt wird, sobald die Charaktere die Goblins erblicken, geht nicht nur der Überraschungseffekt verloren, sondern es scheint auch, als sei der Kampf unausweichlich. Psychologisch gesehen bereitet das Würfeln der Initiative die Spieler automatisch auf den Kampf vor, was das Rollenspiel unterbricht und in die starren Regeln des Kampfes zwingt.
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Euer A.B. Funing